Elektroautos in der Prototypenerprobung – eine Herausforderung
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Prototypen umgibt spätestens seit den 1980er Jahren eine wahrhaft geheimnisvolle Aura. Automodelle aller Hersteller müssen in aller Welt Marterprogramme über sich ergehen lassen, ehe sie zum Kunden kommen, und werden in der Erprobung zudem noch von sogenannten Erlkönigjägern verfolgt. Die Elektroautos werden dabei besonders hart rangenommen.
Erlkönige in ihrem natürlichen Gefilde
Morgens um kurz vor sieben Uhr in einem winzigen Ort in Nevada. In dem namenlosen Hotel treffen sich an der Rezeption eine Handvoll Fahrzeugentwickler eines deutschen Autoherstellers – fernab der Heimat läuft die finale Phase der Prototypenerprobung. Es wird aufgerüstet – heißt, es geht nach dem Auschecken direkt in die Tiefgarage, wo in einer dunklen Ecke ein paar verhüllte Fahrzeuge stehen. Die gigantischen Überzieher sind mit Schlössern um Schürzen und Räder gegen unliebsame Blicke verzurrt, damit auch nachts niemand die streng geheimen Prototypen fotografiert. Sind die Matten erst einmal von den Entwicklungsingenieuren entfernt, ist der ungeübte Betrachter aber kaum schlauer. Die Fahrzeuge – allesamt Elektro-SUV-Modelle mittlerer Größe – sind mit wilden Folien verklebt, um im Straßenverkehr unkenntlich zu sein. Tarnmatten im Innern verstümmeln auch das Cockpit bis zur Unkenntlichkeit, wenn eingekauft wird oder nachgeladen werden muss.
Eine kurze Ansprache, dann geht es nach einem „go“ per Funk los. Vorn und hinten wird die Kleinkolonne von zwei Serienfahrzeugen abgesichert. Es geht Richtung Mojave Wüste und dann weiter durch das Tal des Todes vorbei an Las Vegas. Hauptsächlich geht es heute um die Akkubelastung der Elektromodelle bei starker Hitze. „Wie stressen die Akkus in der Erprobung so hart, wie es kein Kunde tut“, erklärt Andreas, der den elektrischen Crossover seit mehr als zwei Jahren wie aus dem Effeff kennt. Doch ein Test am Tag allein, das gibt es schon lange nicht mehr. Parallel geht es beim heutigen Erprobungstrip um Staub, Kühlluft, Aerodynamik und natürlich die Klimatisierung im Innern. Fahrwerk und Motor spielen bei dem voll gepackten Testtag keine nennenswerte Rolle.
G-Klasse muss sich harten Prüfungen stellen
Ein paar tausend Kilometer weiter sind in Nordspanien Mercedes-Ingenieure mit der elektrischen G-Klasse unterwegs, die 2024 endlich ihre lang erwartete Premiere feiern soll. Auch die elektrische G-Klasse, die wohl bereits auf die Bezeichnung EQG verzichten wird, ist mit Tarnfolien geschützt in der Nähe von Barcelona gestartet. Doch die Tarnung ist eigentlich überflüssig, denn der Elektro-G ist klar als solcher zu erkennen. Die A-Säule wird etwas rundlicher – das war es aber auch schon. Elektrisch durchs Gelände? Da wird die G-Klasse kaum die Einzige sein; doch an ihr werden sich viele messen. Der Stromer ist ideal konzipiert für ruppige Offroad-Einsätze. Das fängt mit den Lithium-Ionen-Akkus an. Die sind in den robusten Leiterrahmen aus bis zu 3,4 mm dickem Stahl integriert – und gerade der wird in der Erprobung im Gelände hart rangenommen.
Das macht die Karosserie nicht nur noch einmal deutlich verwindungssteifer, es sorgt auch für einen niedrigen Schwerpunkt. Selbst bei extremen Neigungswinkeln bleibt die G-Klasse so sicher auf dem Boden. Um die Akkus, die aus dem Konzernregal kommen und auch in den anderen elektrischen Mercedes-Modellen verbaut werden, besonders zu schützen, haben die Entwickler extra robuste Unterboden-Abdeckungen aus einem extrem widerstandsfähigen Material entwickelt. Gleich ein halbes Dutzend Mal setzt der Prototyp bei der Klettertour im Gelände hart auf Fels und Stein auf – völlig unbeschadet. Die Entwickler sind zufrieden.
Elektro-Macan für besonders widrige Klimabedingungen erprobt
Porsche erprobt gerade nicht nur den neuen Elektro-Macan, sondern auch seinen Cayenne, der eine große Modellpflege bekommt, weil er als Verbrenner mit Elektrounterstützung noch bis Ende des Jahrzehnts im Programm bleiben soll. „Wir haben von den Kunden die Rückmeldung bekommen, dass der Cayenne zu straff sei“, erzählt Fahrwerksspezialist Martin Werner. Der Kampf um den Komfort, ohne die Porsche-DNA zu verwässern, ist bei den Erprobungsfahrten spürbar. Dazu trägt auch der um 30 Millimeter auf 790 Millimeter gestiegene Raddurchmesser der 21 Zoll Reifen und die damit verbundene höhere Gummiflanke bei. „Das Fahrwerk bisher war schon gut, aber jetzt haben die Kollegen noch mal eine Schippe draufgelegt“, sagt Baureihenleiter Stefan Fegg, „wir haben aus der MLB evo-Architektur alles rausgeholt.“ Auch beim Basis Plug-in-Hybrid haben die Techniker Hand angelegt. Weniger beim Antriebsstrang, dessen Aufpeppen um 6 kW / 8 PS auf 346 kW / 470 PS mit einem maximalen Drehmoment von 650 Nm, das sind 50 Nm weniger als bisher. Spannend wird es, wenn man sich die Kraftverteilung der beiden Antriebseinheiten anschaut.
Doch nur ein Teil der Martertests findet bei den hunderttausenden von Testkilometern statt. Ein Großteil der Erprobung wird mittlerweile auf Prüfständen nachgefahren. Da macht die Akku- und Antriebstechnik keine Ausnahme. Bei General Motors laufen die Fäden im Batterielabor von Warren im US-Bundesstaat Michigan zusammen. „Hier in Warren werden die Akkus getestet, lange bevor diese in unsere Elektroautos kommen“, erläutert Eric Boor als Senior Operations Manager Battery Systems Lab, „wir testen sieben Tage die Woche, 24 Stunden rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Wir nehmen die Batterien und die Zellen selbst auseinander, fügen diese wieder zusammen, analysieren und testen – immer wieder testen. Daher werden die Module bei uns drei Jahre lang getestet, bevor diese ihren Weg in eines unserer Modelle finden.“ Dabei werden die Batterien nicht nur im Labor unter die Lupe genommen, sondern immer wieder in die Prototypen verfrachtet, die unter jeder der GM-Marken in dreistelliger Zahl durch die ganze Welt gondeln, um Testkilometer zu sammeln. Das neue Aushängeschild des Cadillac Lyriq mit seinem 104-kWh-Akkupaket bietet eine Akkuleistung von 620 Watt pro Liter. „Langfristig sind 850 oder sogar bis zu 1100 Watt drin“, freut sich Tim Grewe als Director of Electrification bei General Motors, „dann werden die Akkus kleiner und natürlich auch leichter. Das ist auch wichtig für die Kosten.“
Rolls-Royce: Auch Luxus muss was abkönnen
In seiner finalen Erprobungsphase befindet sich derzeit auch der Rolls-Royce Spectre, das erste Elektromodell der bayerischen Briten. Das elektrische Luxuscoupé hat am Ende der dritten Testphase fast zwei Millionen Kilometer zurückgelegt. Doch vor dem Marktstart wird weiter gemartert; aktuell parallel in Deutschland, Nordschweden, den USA und Südafrika. In Südafrika ist der Spectre an zwei Orten unterwegs; in der nördlichen Kapregion Augrabies und in den Weinbergen von Franschhoek. Die unterschiedlichen Klimazonen bieten beste Möglichkeiten für Sommertests. An heißen Tagen können die Temperaturen 50 Grad Celsius überschreiten, während die südliche Region eine große Vielfalt an Oberflächen und Terrains bietet, einschließlich kurvenreicher Landstraßen voller Schotter, Staub und Schmutz. „Der Grund für unseren außergewöhnlichen und unermüdlichen globalen Testprozess ist einfach: Es hat noch nie ein Automobil wie den Spectre gegeben. Als erster vollelektrischer Rolls-Royce repräsentiert der Spectre nicht nur ein neues Paradigma in unserer Technologie, sondern die gesamte zukünftige Ausrichtung unserer Marke“, erläutert Dr. Mihiar Ayoubi, Technikdirektor bei Rolls-Royce.
Wenn die Erprobung des ersten elektrischen Rolls-Royce abgeschlossen ist und Ende 2023 die ersten Fahrzeuge zu den Kunden rollen, hat der Spectre umfassende Tests durchlaufen, die darauf ausgelegt sind, einen fast 400 Jahre dauernden normalen Gebrauch unter einigen der extremsten Bedingungen der Erde zu simulieren. Begonnen hatten die Tests wie bei vielen anderen Modellen im Winter 2021 in einer speziellen Testanlage in Arjeplog / Schweden nahe des Polarkreises entfernt. Bei Temperaturen von minus 40 Grad Celsius verfeinerten die Ingenieure jeden Aspekt der Leistung und des Fahrverhaltens des Spectre bei Schnee und Eis sowie die Auswirkungen von anhaltender extremer Kälte auf die Batterien und andere elektronische Systeme des Fahrzeugs. Beim Elektroantrieb gibt es eben doch immer noch etwas mehr zu tun.
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