Ein Tag mit dem Nio EL7
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Im Rahmen meiner Tätigkeit beim Nio User Advisory Board, kurz UAB, wurde ich vergangene Woche zum Nio Community Day in Hamburg eingeladen, um den EL7 ausgiebig zu testen und exklusive Behind-the-scenes-Eindrücke von Nios Expansionsplänen zu erhalten.
Moin, EL7! Der NIO Community Day in Hamburg
Ein äußerst windiger Sonntagmorgen am ehemaligen Hauptzollamt in Hamburg. Perfekt aufgefächert vor dem historischen Backsteingebäude wartet hier die gesamte Modellpalette von Nio – unzählige EL7 in diversen Farben, dazwischen die Limousinenmodelle ET5 und ET7. Zahlreiche Fotografen huschen um die Fahrzeuge herum und lichten sie aus sämtlichen Winkeln ab, einige neugierige Passanten bleiben stehen und verfolgen das Geschehen.
Auch drinnen herrscht bereits viel Trubel. Zahlreiche Mitarbeiter und Fellows sind heute vor Ort und stehen den interessierten Gästen mit Informationen rund um die Marke sowie gelegentlichen Anekdoten zur Seite. Gegen 10.30 Uhr eröffnet Ralph Kranz, General Manager von Nio Deutschland, die Veranstaltung. Nach einer kurzen thematischen Einführung umreißt er, was die deutschen Fans der Marke dieses Jahr erwartet: die Eröffnung dreier Nio Houses in Frankfurt am Main, Hamburg und Düsseldorf sowie die Inbetriebnahme weiterer Battery swapping stations an den wichtigsten Hauptverkehrsachsen. Europaweit sind bis Ende 2023 insgesamt 120 dieser Batterie-Wechselstationen geplant, sie sollen das elektrische Reiseerlebnis auf Langstrecke in Kombination mit der ständig wachsenden Anzahl an HPC-Ladepunkten deutlich verbessern.
Nach einem umfangreichen Rahmenprogramm inklusive einiger Keynotes vonseiten hochrangiger Nio-Mitarbeiter sowie einer ausführlichen Panel Discussion mit drei Speakern begebe ich mich auf die Testfahrt, die mich quer durch Hamburg sowie durch das Holsteiner Umland führt. Zu meiner großen Erleichterung werde ich dabei von einem wunderschönen blauen Himmel begleitet – war ich doch am Abend zuvor von einem nicht prognostizierten Schneesturm überrascht worden und vor der eisigen Nässe direkt ins nächste Restaurant geflohen. Ich hatte fest damit gerechnet, dass die Veranstaltung ins Wasser fallen würde, doch die nordischen Götter sind mir heute offenbar wohlgesonnen und schenken mir strahlenden Sonnenschein.
Edles, aber gewöhnungsbedürftiges Exterieur
Edel und minimalistisch, allerdings ohne dabei langweilig zu wirken – das Exterieurdesign des EL7 fügt sich nahtlos ins bestehende Produktportfolio ein. Die „Shark Nose“ genannte Front ist geschlossen, wie es bei vielen vollelektrischen Fahrzeugen mittlerweile üblich ist. Schmale LED-Lichtschlitze bilden das Tagfahrlicht, die nierenförmigen Hauptscheinwerfer wurden eine Etage tiefer platziert. Das Heck wird von einem durchgehenden Lichtband bestehend aus 202 diamantgeschliffenen LED-Modulen geziert. Oberhalb der Windschutzscheibe und entlang des Seitenprofils finden sich diverse Kameras und Sensoren, die ich liebevoll „Glubschies“ getauft habe.
Beim ersten Anblick eines Nio-Fahrzeugs wirken diese zunächst recht befremdlich, aber man gewöhnt sich erfahrungsgemäß recht schnell an die exzentrische Platzierung und ich nehme sie mittlerweile kaum noch wahr. Immerhin sorgen die Glubschies dafür, dass der EL7 in Kombination mit dem Zentralrechner „Adam“, der eine Rechenleistung von 8 GB pro Sekunde abrufen kann, ideal für das autonome Fahren von morgen ausgelegt ist.
Neue Maßstäbe in puncto Fahrkomfort
Auch das in drei Farbwelten erhältliche Interieur stimmt in weiten Teilen mit dem ET7 überein. Optisch ansprechende Rattanelemente zieren Mittelkonsole und Armaturenbrett, die Akzente leuchten in weichem Meteorit-Chrom. Auf wiederholten Kundenwunsch hin lässt sich jetzt auch das große Panoramadach öffnen, beim ET7 ist dies nicht möglich. Normalerweise befindet sich der begehrteste Sitzplatz hinten rechts, beim EL7 hingegen werden sich die Fahrgäste eher darum streiten, wer auf dem Beifahrersitz Platz nehmen darf. Denn auf Knopfdruck klappt eine Beinstütze unter dem Sitz hoch und eine Fußstütze fährt aus dem Fußraum aus – so entsteht eine beinahe durchgängige Liegefläche, auf der lange Reisen recht gemütlich absolviert werden können. Kombiniert mit der Massagefunktion auf allen Sitzplätzen setzt der EL7 in diesem Preissegment neue Maßstäbe in puncto Komfort.
Der einzige Nachteil: Es gibt kein Handschuhfach. Der Innenraum bietet zwar mehr als genug Stauraum und sämtlicher Kleinkram kann problemlos im Fach unter der Mittelarmlehne platziert werden, aber eine abschließbare Ablagemöglichkeit ist leider nicht vorhanden.
Nomi geht mir endlich nicht mehr auf die Nerven
Das 12,8 Zoll große Center Display bietet ein hohes Kontrastverhältnis und leuchtende Farben, der Touchscreen reagiert schnell und flüssig, die Menüführung ist übersichtlich aufgebaut. Über dem Zentralbildschirm thront Nomi, das personifizierte Sprachassistenzsystem. Besonders von der Entwicklung, die sie binnen weniger Monate hingelegt hat, bin ich positiv überrascht.
Als ich im Dezember vergangenen Jahres die Oberklassenlimousine ET7 getestet hatte, war mir Nomi nach einiger Zeit noch ziemlich auf die Nerven gegangen. Wann immer sie einen Sprachbefehl zum zweiten Mal nicht verstanden hatte, ratterte sie einen ganzen Monolog herunter, in dem sie sich vielmals entschuldigte und versprach, mir beim nächsten Mal besser helfen zu können. Ich hatte damals keine Möglichkeit gefunden, diesen stur vorgetragenen Monolog zu unterbrechen und nutzte den Sprachassistenten irgendwann gar nicht mehr, weil mir die langatmigen Ausführungen der künstlichen Intelligenz derart auf die Nerven gingen.
Dieses unausstehliche Geplapper gehört glücklicherweise der Vergangenheit an. Jetzt bittet mich Nomi lediglich darum, die Anfrage später nochmal zu versuchen, und verstummt, bis ihre Dienste erneut angefordert werden. Diese Reduzierung auf das Nötigste an Kommunikation empfand ich als sehr angenehm und bekam dadurch wieder deutlich mehr Lust, mit dem Sprachassistenten herumzuspielen und auch mal weniger sinnvolle Befehle an Nomi zu richten. Äußerst witzig finde ich die Funktion „mach ein Selfie!“ – nach dem Sprachbefehl gilt es lediglich, in die unterhalb des Rückspiegels angebrachte Innenkamera zu grinsen, und schon knipst Nomi einen Schnappschuss. Insbesondere auf Roadtrips mit Freunden stelle ich mir dieses Gimmick recht witzig vor.
Die Witze hingegen, die Nomi auf Wunsch erzählt, sind miserabel und ringen mir nicht mal ein müdes Lächeln ab. Aber ansonsten ist es beachtlich, wie gut sich anhand der Sprachsteuerung so gut wie alle Funktionen steuern lassen. Dies muss wohlgemerkt nicht mit sprachlich perfekten Befehlen erfolgen, Nomi versteht zum Beispiel auch meine primitiv formulierte Aufforderung „mach Geruch an“ und aktiviert sofort den Duftionisator, der eine angenehm duftende Brise im Innenraum verströmt. Andere berichteten später, dass Nomi auf ihren Wunsch hin, das Schiebedach zu öffnen, stattdessen das Fenster auf der Fahrerseite betätigte – perfekt ist sie also noch lange nicht, aber sie lernt rasant hinzu und kann definitiv als eins der besten Sprachassistenzsysteme auf dem Markt bezeichnet werden.
650 elektrische Pferdchen garantieren großen Fahrspaß
Das Datenblatt des EL7 ist in weiten Teilen bereits vom ET7 bekannt. Der Kunde kann zwischen einer Batteriekapazität von 75 bzw. 100 kWh wählen, perspektivisch ist zudem eine 150 kWh-Variante mit über 800 Kilometern Reichweite geplant. Ein Allradantrieb mit einem 180-kW-Permanentsynchronmotor an der Vorderachse und einem 300-kW-Asynchronmotor an der Hinterachse verleihen dem 4,91-Meter-Schiff eine kombinierte Leistung von umgerechnet über 650 Pferdchen und ein maximales Drehmoment von 850 Nm. Die daraus resultierende Beschleunigung von 0 auf 100 in 3,9 Sekunden bereitet erwartungsgemäß großen Spaß und auch in den sonstigen Fahrdisziplinen schneidet der EL7 ziemlich gut ab.
Trotz seiner Größe und SUV-typischen Ungelenkigkeit nimmt er die Kurven sicher, die Lenkung könnte für meinen Geschmack allerdings gerne etwas direkter sein. Wenn man es aber gerade nicht darauf anlegt, wie ein Rennfahrer über den Asphalt zu fliegen, kann man das hervorragend abgestimmte Luftfahrwerk genießen, mit dem man wie auf Watte über die Straßen schwebt. Die Windgeräusche sind auch bei hohen Geschwindigkeiten recht leise, wodurch das Fahren auf Langstrecke nochmals komfortabler sein dürfte.
Der Preis ist heiß…aber erst auf den zweiten Blick
Klingt erst mal alles super? Kommen wir also zum Preis. Der EL7 ist ab 73.900 Euro zu erwerben – allerdings ohne Batterie. Diese kostet je nach Akkukapazität 12.000 beziehungsweise 21.000 Euro Aufpreis oder kann für 169 beziehungsweise 289 Euro monatlich angemietet werden. Wer sich nicht langfristig an so ein hochpreisiges Auto binden möchte, hat zudem die Möglichkeit, den EL7 im Rahmen eines Auto-Abos zu fahren – je nach Flexibilität der Laufzeit ab 1300 und 1700 Euro pro Monat. Ja, 85.000 Euro ist ein sicherlich sehr stolzer Preis für einen Newcomer auf dem deutschen Markt, jedoch soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass die gesamte Ausstattung serienmäßig ist und lediglich bestimmte Farben und Felgendesigns Aufpreis kosten. Für die eben genannten Preise erhält man also ein performantes vollausgestattetes Premium-SUV mit luxuriöser Ausstattung und zahlreichen Assistenzsystemen.
Kritik? Ausdrücklich erwünscht
Nachdem ich von der Testfahrt zurückgekehrt war, wurde sich eine Stunde lang Zeit genommen, das Feedback der UAB-Mitglieder zum EL7 einzuholen. Hierzu waren diverse Nio-Mitarbeiter aus der Abteilung User Satisfaction angereist, denen man seine Verbesserungswünsche direkt vortragen konnte. Jeder noch so kleine Kritikpunkt wurde aufgenommen und umfassend diskutiert. Genau das zeichnet Nio aus – dieses unablässige Streben nach Verbesserung basierend auf den individuellen Ansprüchen der User. Während andere chinesische Automobilhersteller ihre Fahrzeuge mit minimalen Anpassungen in den europäischen Markt einführen, investiert Nio viel Zeit und Geld, um die regionalen Besonderheiten kennenzulernen und ihre Produkte und Services bestmöglich an der lokalen Zielgruppe auszurichten.
Unabhängig davon, ob man einen Nio fährt oder sich lediglich für die Fahrzeuge und das zugehörige Ökosystem interessiert, die Wertschätzung vonseiten der Marke gegenüber den Usern habe ich so von keinem anderen Automobilhersteller erlebt. Mit dieser Meinung stehe ich offenbar nicht alleine da. So erfuhr ich im Gespräch mit einem anderen UAB-Member, der zuvor treuer Tesla-Kunde gewesen war, dass er vom Service des amerikanischen Elektropioniers wiederholt enttäuscht wurde und auf der Suche nach „einer Marke, die ihre Kunden nicht wie ******* behandelt“ auf Nio gestoßen war. Er sei sehr zufrieden mit seinem ET7 und würde derzeit zu keiner anderen Marke wechseln wollen.
Der Tag endete schließlich mit einem Vier-Gänge-Dinner in einem eleganten Restaurant mit Blick auf die Elbphilharmonie – witzigerweise handelte es sich dabei um dasselbe Restaurant, in das ich am Tag zuvor aufgrund des plötzlichen Schneesturms geflohen war.
Mein vorläufiges Fazit zum EL7 und zum NIO Community Day
Der Nio Community Day war eine wirklich tolle Erfahrung und ich bin dankbar dafür, die exklusive Chance erhalten zu haben, das neue Modell einen Tag vor der Automobilpresse testen zu dürfen. Also, wie lautet mein abschließendes Fazit zum Nio EL7? Mein erster Eindruck fällt überwiegend positiv aus und ich bin überzeugt, dass der erste SUV der Marke in vielerlei Hinsicht gut mit dem etablierten Wettbewerb mithalten kann.
Viele der Aspekte, die mich im Augenblick noch stören, werden in Zukunft höchstwahrscheinlich per OTA-Softwareupdate nachgebessert werden. Lediglich der hohe Preis könnte so manchen potenziellen Kunden abschrecken – trotz der luxuriösen Ausstattung und den überzeugenden Assistenzsystemen bleibt Nio der Newcomer der Elektromobilität und muss so manchen traditionellen deutschen Kunden erst noch von seinem chinesischen Charme überzeugen.
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