Toyota in Le Mans: Heute Hybrid, morgen Wasserstoff
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Das zweite Wochenende im Juni ist ein heiliger Termin. Jedenfalls da, wo man dem Motorsport huldigt. Schon in ganz normalen Jahren steht im Kalender in roten Lettern: Le Mans. Bei der hundertsten Ausgabe sind noch zwei dicke Striche darunter und drei Ausrufezeichen dahinter. Natürlich geht es rund um die französische Stadt auch um die Langstrecken-WM. Und alle wollen den Titel. Fahrer, Teamchefs, Ingenieure, Mechaniker. Noch mehr allerdings wollen sie den Sieg auf dem Circuit de Sarthe. Schon ein einziger Triumph hier macht unsterblich. Und genau deshalb kommt keiner nach Le Mans, um Zweiter zu werden.
Bei Toyota müssten sie derlei Ehrgeiz nicht mehr unbedingt beweisen. Fünfmal in Folge hat Toyota Gazoo Racing dort seit 2018 die Königsklasse gewonnen. Eine Serie, die ihresgleichen sucht. Allerdings macht Le Mans auch demütig. Das weiß ebenfalls keiner besser als die Japaner. Anderthalb Minuten Vorsprung hatten sie 2016 auf Porsche. Doch in der letzten von 384 Runden rollte der Toyota TS050 plötzlich aus. Ein kleiner Stecker zwischen Turbo und Ladeluftkühler wollte nicht mehr. Drei Minuten und 20 Sekunden vor dem Fallen der Flagge.
Nicht ohne Grund besagt die älteste Weisheit des Motorsports, dass man erst im Ziel sein muss, um Erster im Ziel zu sein. „To finish first – first you have to finish.“ Und so war Toyota damals Sieger der Herzen, aber eben nicht des Klassements. Woanders mag das ein Trost sein. Beim Hochamt der Langstrecke nicht. „Du kannst Le Mans nicht gewinnen“, befand denn auch der legendäre Jacky Ickx, der hier sechsmal triumphierte. „Le Mans lässt dich gewinnen.“
Toyota ist zum Glück hartnäckig geblieben – und seinem Hybrid-Konzept treu. Lange Jahre als einziges Team im Feld. Dass der Schnellste gewinnt, war jahrzehntelang Gesetz am Circuit de Sarthe. Dann aber kam die Zeit, in der über 24 Stunden der Schlaueste vorn war. Der, der das zugestandene bisschen Sprit am effizientesten verbrannte. Genau dahin hatte man über die Jahre das Reglement getrimmt. Und auch die Prototypen: mehr aus immer weniger herauszuholen.
Mittlerweile hat der Weltverband FIA die Vorgaben gelockert. Motorsport muss schließlich irgendwie bezahlbar bleiben. Selbst ein globaler Konzern kann für eine Trophäe nicht einfach Abermillionen verballern. Immerhin: Der Sprit in Le Mans besteht zu zwei Dritteln aus Resten der Weinherstellung. Wer hätte gedacht, dass man mit einem guten Tropfen den Rennsport fördert… Toyota setzt weiter auf Stromes Stütze. Auch, weil sie in der Technologie trotz aller E-Auto-Debatten gewaltiges Potenzial sehen. Die aktuelle Lage gibt den Verantwortlichen recht. Noch nicht mal in Europa finden sich ausreichend Ladesäulen. Und bis es in Indien, Afrika oder Südamerika so weit ist, dürften noch Jahrzehnte vergehen.
Andere Hersteller haben mittlerweile nachgezogen. Für die 91. Auflage seit 1923 haben mit Cadillac, Ferrari, Peugeot und Porsche vier weitere Werksteams Hybrid-Modelle in der Klasse der Hypercars gemeldet. Mit unterschiedlichen Hubraum-Konzepten, aber einem gemeinsamen Ziel: Endlich schneller zu sein als die Renner im Zeichen der drei Ellipsen. Dass Toyota die Top-Klasse über Jahre quasi in Alleinfahrt am Leben erhalten hat – schön, aber ganz sicher kein Grund für Dankbarkeit.
Der GR010 der Japaner ist knapp über eine Tonne schwer und teilweise angetrieben von einem 3,5 Liter großen V6-Biturbo. Gute 700 PS gelangen aus dem Benziner an die Hinterachse, nach vorne weitere 270 über den Strom, den die Bremsen liefern. Die Kraft der zwei Herzen. Im Prinzip ist das Höllengefährt ein besserer Prius. Ein sehr viel besserer. Denn was der Toyota für wertvolle Sekunden aus dem kolportiert 10 kWh fassenden Akku saugt, ergibt einen temporären Allradantrieb. Für wie lange? Das hänge stark von der Situation ab, heißt es mit einem fernöstlichen Lächeln.
Die zusätzliche Kraft will klug eingesetzt sein. Am besten auf einer Geraden. Und wenn sie verbraucht ist, muss schnell nachgeladen werden. Deswegen bremst der Toyota zuerst rein elektrisch und erst ganz zum Schluss mechanisch. Über die Rekuperation schweigen die Ingenieure ebenfalls. Deutlich jenseits 300 kW, wird geraunt. Was kein Wunder wäre bei einer Technik, die fast komplett die vorderen Radhäuser füllt. Auf jeden Fall kommt man trotz mehr als 5000 härtester Rennkilometer ohne Bremsen-Wechsel aus. Das spart Zeit, die schon bei anderen Rennen keiner hat. Erst recht nicht in Le Mans.
Sehr viel renntauglicher ist der Hybrid-Antrieb geworden. Bei früheren Systemen warfen die Fahrer nicht 100 Meter vor der Kurve brutal den Anker, sondern gingen schon bei 200 Metern vom Gas, rollten mit 300 Sachen dahin und bremsten erst dann. „Segeln“ nannten sie das – und tief im Herzen hassten sie es. Weil es eben nicht die schnellste Art der Fortbewegung war, sondern nur die effizienteste. Das neue System schätzt eher wieder alte Racer-Tugenden. Wer später bremst, ist länger schnell – und beim Durchtritt hilft der Batterie-Bumms. Oberhalb von Tempo 190. So verlangt es das Reglement.
Ein Härtetest auch für die Serie. Thermo-Management, Stromflüsse, maximale Power – in 24 Stunden Le Mans muss die E-Technik mehr leiden als sonst in einem ganzen Autoleben. Die Erkenntnisse aus derlei Beanspruchung fließen eher früher als später in die Alltags-Akkus ein.
Das Wochenende lässt sich durchwachsen an, für die beiden Toyota mit den Startnummern 7 und 8. Die Pace im Qualifying macht Ferrari. Genau 50 Jahre nach ihrem Abgang aus der Top-Kategorie sind die Roten aus Maranello zurück – und sofort erobern sie die Pole. Auch das eine dieser Geschichten, an denen Le Mans so überaus reich ist.
So wie an Überraschungen. Schon vor dem Start. Um die technischen Unterschiede auszugleichen, gilt eine Balance of Performance (BoP). Da rächt sich Erfolg. Neuling Ferrari muss 24 Kilo zuladen, Toyota verheerende 37 Kilo. Das entspricht etwa 1,2 Sekunden pro Umlauf. Auf die Renndistanz gerechnet eine Hypothek von fast sieben Minuten oder zwei Runden. In Windeseile müssen Renningenieure das Setup ändern und die Strategie wechseln. Ein Wolkenbruch hätte nicht schlimmer sein können.
Der kommt obendrauf. Unmittelbar nach dem Start liegt plötzlich Toyota vorne. Rundenzeiten im Alleingang sind das eine, fahrerisches Geschick im Zweikampf ein anderes. Doch als die Plätze fürs Erste bezogen scheinen, beginnt die Lotterie. Regen, gelbe Flaggen, quälende Zeit hinter dem Pacecar. Von wegen alle zwölf Runden Tankstopp, alle 36 Räderwechsel. Das Wetter stellt alle Pläne auf den Kopf – und trifft dennoch kein Team unvorbereitet. Dutzende Szenarien laufen parallel auf den Computern. Wer stoppt wann, fasst welche Reifen, was treibt die Konkurrenz? Allein mit derlei Strategien sind viele kluge Köpfe der 120 Häupter zählenden Toyota-Truppe beschäftigt.
Auf der anderen Seite der Leitplanken machen sie sich um derlei Feinheiten wenig Gedanken. Mehr als 325.000 Zuschauer sind gekommen, um einen spannenden Kampf zu sehen. Davor großer Gridwalk. Feiner Zwirn trifft feuerfesten Overall. Die einen machen in Honneurs, die anderen liegen im Rennfieber. Es gilt Autos über zwei Zeiger-Umläufe zu bringen. Und über Streckenabschnitte von Weltruhm – Tertre rouge, Hunaudières, Mulsanne. 13,6 Kilometer mit 21 Wendungen hat eine Runde. Knappe 400 davon sind in der Regel zu absolvieren. Am Limit. Bloß nicht darüber. Der Schnitt in der Königsklasse liegt jenseits von 230. Auch in der Nacht.
Das Handicap: Unterschiedliche Fahrzeugklassen starten in ein und demselben Rennen. Also wird ständig irgendwo überholt. Das macht den besonderen Reiz aus. Und bald wird klar: Mitfavorit Porsche ist weniger stark als erwartet – den Sieg werden Cadillac, Ferrari und Toyota unter sich ausmachen. Irgendwie.
Gegen Mitternacht scheidet der erste Toyota auf Position zwei liegend durch einen unverschuldeten Unfall aus, anderthalb Stunden später jedoch übernimmt das Schwesterauto die Spitze. Ferrari kontert am Vormittag, Toyota schlägt zurück – es ist genau der spannende Kampf, nach dem die Fans so lechzen. Am Ende triumphieren die Rückkehrer aus Maranello vor dem Seriensieger und den Neulingen von Cadillac. Drei Marken auf dem Treppchen – das spricht für die Ausgeglichenheit der Serie.
Einen Coup allerdings setzten die Japaner dennoch – mit der Präsentation eines Wasserstoff-Autos für Le Mans. Das alte Reglement endet in zwei Jahren – und für 2026 hat der Automobil-Weltverband eine Freigabe für derlei Antriebe erteilt. Und so wie 2006 der erste Diesel gewann und 2012 der erste Hybrid, könnte also bald ein Hydrogen-Fahrzeug den Sieg an der Sarthe einfahren.
Wie zum Beweis drehen unmittelbar vor dem Start zwei Autos Demo-Runde: Ein Bolide der Initiative H24 und ein schon aktuell bei Rennen in Japan eingesetzter Wasserstoff-Corolla von Toyota. Nicht mit der beim Mirai üblichen Brennstoffzelle, sondern als Direkteinspritzer. Am Steuer kein Geringerer als Firmenpatriarch Akio Tyoda höchstselbst. Spätestens da weiß man: Dem Mann ist es ernst mit Wasserstoff. Und mit Le Mans ohnehin.
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