„Wir müssen die Verkehrswende mit hoher Priorität angehen“
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Beim Klimaschutz im Verkehr wird eine neue Bundesregierung vor allem vor finanz-, industrie- und sozialpolitischen Aufgaben stehen. Darauf verweist der Thinktank Agora Verkehrswende auf Basis einer ausführlichen Bilanz der Ampelkoalition. Gemessen an Klimakriterien falle die Bilanz unzureichend aus, weil der Verkehrssektor in den vergangenen drei Jahren immer mehr vom Kurs auf Klimaneutralität abgekommen ist.
Als schweres Erbe erweise sich vor allem die Ungewissheit über die langfristige Finanzierung und Planung zukunftsfähiger Verkehrsinfrastrukturen sowie der Rückstand als Leitmarkt der Elektromobilität und bei der damit verbundenen industriellen Transformation. Angesichts absehbar steigender Preise für Benzin und Diesel sei es wichtig, den Wechsel zu sauberer Mobilität in der Breite zu erleichtern, insbesondere für untere und mittlere Einkommensgruppen und im ländlichen Raum, wo der öffentliche Verkehr keine adäquaten Alternativen zum motorisierten Individualverkehr bietet.
„Eine Regierungskoalition, die Deutschland wirtschaftlich erfolgreicher und sozial gerechter machen möchte, sollte die Verkehrswende mit hoher Priorität angehen. Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, Lebensqualität und soziale Teilhabe lassen sich am ehesten sichern, wenn Deutschland im Verkehr wieder auf Klimakurs kommt. Die Aufgabe ist anspruchsvoll“, erklärt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende: „Es geht nicht nur um Technologien, sondern auch um die gesamtgesellschaftliche Bereitschaft zur Veränderung. Die neue Bundesregierung kann neue Akzente setzen. Klimaschutz sollte parteiübergreifend als Zukunftsprojekt verstanden werden. Eine Verkehrswende als Gemeinschaftswerk: Nur so kann es klappen. Sonst wird das nichts. Das ist eine zentrale Erkenntnis nach drei Jahren Regierungsarbeit der Ampelkoalition.“
„Deutschland ist im Verkehrssektor weder klima- noch industrie- oder sozialpolitisch auf Kurs“
Wiebke Zimmer, Stellvertretende Direktorin von Agora Verkehrswende, fügt hinzu: „Die Ampelkoalition zeigte schon im Koalitionsvertrag kaum klare gemeinsame Linien für die Verkehrswende. Dann ließ die Zeitenwende durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine die Aufgabe weiter in den Hintergrund rücken. In der Klimapolitik stand der Verkehr hintenan; in der Verkehrspolitik der Klimaschutz. Fortschritte im Straßenverkehrsrecht und bei der Weiterentwicklung der Lkw-Maut blieben vereinzelt. In entscheidenden Fragen wie Investitionen, industrieller Transformation und Ausbau des öffentlichen Verkehrs fehlte der gemeinsame Gestaltungswille. Deutschland ist deshalb im Verkehrssektor weder klima- noch industrie- oder sozialpolitisch auf Kurs.“
Für die Vorhaben in der kommenden bundespolitischen Legislaturperiode hebt Agora Verkehrswende fünf Schwerpunkte hervor:
Finanzreform und Investitionsoffensive fördern Wohlstand und soziale Gerechtigkeit
Deutschland könne im Verkehrssektor bis 2045 klimaneutral werden – ohne Einbußen in der Mobilität und ohne Mehrkosten im Vergleich zu dem, was bis 2045 ohne Kurs auf Klimaneutralität ausgegeben werden müsste. Für den Aufbau der benötigten Kapazitäten bei Infrastrukturen und im öffentlichen Verkehr müsse die Bundesregierung eine verlässliche und verfassungskonforme Strategie sowie eine Finanzarchitektur entwickeln, mit denen öffentliche Investitionen schnell, langfristig und im hinreichenden Umfang gesichert werden können. Für private Investitionen – vor allem in klimaverträglichere Fahrzeuge und deren Energieversorgung – benötigen Haushalte und Unternehmen am Klimaschutz orientierte Rahmenbedingungen, die Planungssicherheit gewährleisten.
Von zentraler Bedeutung sei eine am CO2-Ausstoß orientierte Reform der Steuern, Abgaben und Subventionen rund um den Pkw – von Kfz- und Dienstwagenbesteuerung bis zu CO2-Preis mit Klimageld und verursachergerechter Pkw-Maut.
Industrielle Transformation sichert Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung
Voraussetzung für einen langfristig erfolgreichen Wirtschaftsstandort Deutschland sei, dass die Industrie entschlossen in der begonnenen Transformation zur Klimaneutralität vorangeht. Für die Automobilindustrie seien die Chancen mit einem schnellen Hochlauf der Elektromobilität am größten. Dafür seien Orientierung und Planbarkeit sowie ein starker Heimatmarkt für Elektroautos unerlässlich. Deshalb brauche es in den kommenden Jahren auf europäischer wie auf nationaler Ebene eine stärkere Verknüpfung von Industrie- und Klimapolitik.
Das Fundament werden weiterhin ambitionierte CO2-Flottengrenzwerte sein, die es politisch zu flankieren gelte – mit Instrumenten zum Hochlauf der Elektromobilität in gewerblichen Flotten, wirtschaftlichen Anreizen, die vor allem kleinere Elektroautos günstiger machen, und einem weiterhin schnellen Ausbau der Ladeinfrastruktur.
Integration der Elektromobilität in die Stromnetze senkt Kosten, beschleunigt den Ausbau von erneuerbarer Stromerzeugung und fördert den Hochlauf von E-Autos
Die Möglichkeit, bidirektional zu laden – vom Netz in die Batterie und von der Batterie ins Netz – berge ein erhebliches Potenzial zur Senkung der Kosten sowohl für die Energie- als auch für die Verkehrswende. Ein effektives Management der Ladenachfrage helfe, den Energiebedarf effizienter zu decken und gleichzeitig die Auslastung des Stromnetzes zu erhöhen. Diese Kosteneinsparungen im Stromnetz können wiederum genutzt werden, um die Ladekosten der Elektromobilität für die Nutzerinnen und Nutzer zu senken und so den Wechsel zum Elektroauto zu unterstützen.
Um diese Potenziale zu erschließen, müsse die Bundesregierung ein klares Zielbild entwickeln und entsprechende Rahmenbedingungen gestalten.
Klimaneutrale Kraftstoffe komplettieren das Ende des fossilen Zeitalters
E-Fuels, die mit erneuerbarem Strom und aus der Atmosphäre gewonnenem CO2 hergestellt werden, seien unerlässlich zur Erfüllung verschiedener regulatorischer Vorgaben im Rahmen der europäischen Klimapolitik. Gleichzeitig jedoch bleiben E-Fuels wenig energieeffizient und werden aller Voraussicht nach in den nächsten Jahrzehnten nur begrenzt verfügbar und teuer sein. Deshalb sollten sie zielgerichtet produziert und genutzt werden, insbesondere im Luft- und Seeverkehr.
Der industrielle Markthochlauf zur Produktion solcher Kraftstoffe stockt bislang erheblich. Es brauche ein langfristiges verkehrsträger- sowie sektorenübergreifendes politisches Konzept, das über 2030 hinaus Planungssicherheit gewährleistet und weitere Anreize und Mechanismen entwickelt, um insbesondere die ersten Produktionsanlagen zu realisieren.
Bezahlbare Mobilität für alle gewährleistet gleichwertige soziale Teilhabe in Stadt und Land
Die Preise für Benzin und Diesel werden weiter steigen, je mehr die volkswirtschaftlichen Kosten für das Verbrennen von fossilen Ressourcen darin enthalten sind. Eine markante Preissteigerung ist für 2027 absehbar, wenn der Europäische Emissionshandel auf die Sektoren Gebäude und Verkehr ausgeweitet wird. Umso mehr brauche es eine Gesamtstrategie, wie insbesondere Menschen mit geringem bis mittlerem Einkommen, die bisher auf ein eigenes Auto mit Verbrennungsmotor angewiesen sind, auf klimaneutrale Alternativen umsteigen können – seien es günstige Elektroautos oder ein attraktiver Verbund aus Bus und Bahn, flexiblen Sharing- oder Shuttle-Diensten sowie dem Fahrrad.
Beim Ausbau des Angebots im öffentlichen Verkehr werde es aufgrund des Personalmangels und der Personalkosten mittelfristig besonders auf automatisierte Fahrzeuge ankommen. Das Ziel sollte eine Mobilitätsgarantie sein, die flächendeckend ein Mindestangebot des öffentlichen Verkehrs als Daseinsvorsorge gewährleistet und so die soziale Teilhabe erleichtert. Im ländlichen Raum könne außerdem eine neue Offensive für Elektromobilität im öffentlichen wie im privaten Verkehr dazu beitragen, das Leben dort attraktiver zu machen.
Quelle: Agora Verkehrswende – Pressemitteilung vom 04.12.2024
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