Hyundai Ioniq 6 im Test: Es muss nicht immer ein SUV sein
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Beim Elektroauto hat sich ein Trend verfestigt. Stromer sind gerne groß, immer schwer – und oft genug hat man ihnen die Federbeine langgezogen. Hyundai macht es nun erfreulich anders und wagt sich mit dem Ioniq 6 an ein traditionelles Kompaktmodell. Bogig geduckt und messerscharf gezeichnet, ein extravaganter Mix aus Limousine und Coupé. So einen Auftritt trauen sie sich ansonsten nur im Zeichen des Sterns – was viel sagt über das neue Selbstbewusstsein bei Hyundai.
Gerechtfertigt ist es allemal. Denn während die E-Autos dieser Welt noch mit 400-Volt-Technik unterwegs sind, haben die Koreaner längst verdoppelt. Das ist im Markt der Masse schon eine Ansage. Über 800 Volt verfügen sonst nur Porsche Taycan und Audi RS e-tron GT. Die aber sind locker zwei- bis viermal so teuer. Ein Argument, das zieht. Hinter Tesla und VW ist Hyundai in Deutschland mit 7,1 Prozent Marktanteil mittlerweile die drittstärkste E-Auto-Marke.
Der Grund ist ein simpler: Längst wollen sie bei Hyundai mit ihren Autos ins Herz treffen. Und das schlägt bei E-Autos nun mal für große Reichweiten und mehr noch für kurze Ladezeiten. Wenn man in fünf Minuten Strom für mehr als 100 Kilometer in die Zellen pressen kann, schwindet die Bedeutung anderer Faktoren. Zugegeben: Nötig dafür ist eine ordentliche Schnellladesäule – aber dennoch gehen da selbst notorischen Radius-Nörglern langsam die Argumente aus.
Parallel zur Technik nähert sich Hyundai der E-Mobilität auch über das Design. So duckt sich der Ioniq 6 gegenüber dem wesensgleichen Ioniq 5 elf Zentimeter tiefer, zieht sich dafür aber achtern um gut 20 Zentimeter länger auf 4,85 Meter – und zum Glück auch wuchtig in die Breite. Ein echter Coupé-Coup. Der Effekt: Die vorbeiwirbelnde Luft hat am langen Heck, dessen oberer Spoiler ein wenig an den 911 erinnert, einfach viel mehr Zeit, sich zu beruhigen. So bringt es der „Streamliner“ genannte Ioniq 6 dank verkleidetem Unterboden und variabler Lüftungsklappen auf einen cw-Wert von 0,21 und landet damit unmittelbar hinter dem Aerodynamik-Primus Mercedes EQS (0,20). Kollateralnutzen für Konservative: Statt Heckklappe wie beim Ioniq 5 gibt es echte Limousinen-Tradition: feste Scheibe samt klassischem Deckel über dem 401 Liter fassenden Kofferraum. Platz für das Ladekabel bietet ein „Frunk“ unter der Fronthaube.
Ein kleines Opfer indes fordert der gestalterische Mut. Bei 2,95 Metern Radstand sitzt man zwar trotz des kühnen Abschwungs auch in zweiter Reihe noch sehr ordentlich, ein bisschen Demut vor dem Design erfordert der Einstieg indes schon. Allerdings haben die Entwickler trotz des Spannungsbogens den Sinn fürs Praktische bewahrt. So folgt die Form der Funktion und mündet in eine akzeptabel tiefe Ladekante.
Zum Schwung im Dach gehört selbstverständlich auch der unter der Haube. Zur Wahl stehen Akkus von 53 und 77,4 kWh, Heck- und Allradantrieb – sowie in der Folge ein Spektrum zwischen 111 und 239 kW Leistung bei Reichweiten von 429 bis 614 Kilometern (WLTP). Tempo 100 liegen bei Allrad und großem Akku nach 5,1 Sekunden an, bei Heckantrieb mit kleiner Batterie vergehen aber auch bloß 8,8 Sekunden. Rauf geht’s hier wie dort bis Tempo 185.
Das Fahrwerk ist bestens austariert, ohne gleich den Komfort zu schmälern, die Lenkung indes könnte ein wenig mehr Rückmeldung vertragen. Wer es kommod schätzt, der kleinen Hatz zwischendurch aber nicht abgeneigt ist, dem sei der Heckantrieb samt großem Akku empfohlen. Dem fehlt zwar der harte Punch des Allradlers, allerdings kontert er im Geschlängel mit geringerem Gewicht und agilerem Handling. Wer allerdings allzu flott in enge Ecken strebt, muss trotz modernster Technik erfahren, dass Masse nun mal den Weg Richtung Tangente nimmt. Immerhin sind zwei Tonnen und mehr von den bis zu 20 Zoll (etwa 51 cm) großen Rädern in der Bahn zu halten.
Platz vorne hat es reichlich. Man thront auf gut konturierten Sitzen und kann sich auf Wunsch – etwa bei der Ladepause – samt ausklappbarer Beinauflage gepflegt flachlegen. Apropos Sitze: Wen selbst bei ökologisch behandeltem Leder das Gewissen plagt – zur Wahl stehen auch Stoffe aus PET-Flaschen und für den Boden Recycling-Garne aus alten Fischernetzen.
Das Cockpit bilden zwei 12-Zoll-Displays im Breitwand-Format. Links die Instrumente, rechts das Infotainment. Ausladender war in dieser Klasse selten ein Kommandostand. Pfiffig: Wer zwischen den Fahrmodi Eco, Normal und Sport wechselt, kann die zugehörige Reichweite gleich groß mit der Tempo-Anzeige ablesen. Schade nur, dass man mit Ziffern leben muss – eine Zeiger-Grafik ist nicht programmiert.
Rückblickend betrachtet wird’s ein wenig eng. Die extrem geneigte Heckscheibe verengt die Welt zum Schlitz. Da weiß man, warum die Rückfahrkamera Serie ist. Optional gibt’s Linsenblick auch für die Außenspiegel. Allerdings passen die in ihrer auffallend kantigen Form deutlich besser zum Ioniq 5 – und der ungewohnte Blick auf die Bildschirme am Fensterdreieck ist auch nicht jedermanns Sache.
Nicht mal mehr lenken und bremsen müsste man, weil Hyundais Jüngster auf Wunsch rundum Obacht gibt, automatisch in der Spur bleibt, das richtige Tempo hält, gebührend Abstand wahrt, vor Sekundenschlaf warnt und – wenn sonst nichts mehr hilft: den Anker wirft. Der Clou der Assistenz ist das optionale Head-up-Display, das schwirrende Pfeile vors Auge wirft. Für ein Auto dieser Klasse ist das großes Kino. Gut gelöst: Beim „i-Pedal-Driving“ verzögert der Wagen tatsächlich bis zum Stillstand. Wäre doch schade um jedes Watt, das nicht rekuperiert wird.
Eher ungewöhnlich für ein E-Auto: Hinten dürfen stolze 1,5 Tonnen an den Haken. Einzige Voraussetzung ist die große Batterie. Mit kleinem Akku bleibt’s bei 750 Kilo – auch gebremst. Selbstverständlich gilt Buch eins der Batterie-Bibel: Dynamik kostet Distanz. Und Gewicht eben auch. Doch damit man in Sachen Radius keine böse Überraschung erlebt, rechnet der Ioniq 6 auch bei Anhänger-Betrieb die Restreichweite hoch.
So oder so jedoch geht dem Akku irgendwann der Saft aus. An einer Gleichstrom-Säule lädt der Ioniq 6 mit bis zu 240 kW und kommt von 10 auf 80 Prozent in weniger als 20 Minuten. Anders gesagt: In einer Viertelstunde lässt sich Saft für 350 Kilometer ziehen. Sehr viel länger dauert ein Sprit-Stopp samt Kaffee auch nicht wirklich. An der Wallbox mit maximal 11 kW vergehen indes gute sieben Stunden, was egal sein kann, lädt man über Nacht. Hübsches Detail: Mit bis zu 3,6 kW lädt der Ioniq 6 auch andere elektrische Geräte – ideal für die Stromversorgung beim Camping oder bei einem Blackout. Eine Steckdose für außen findet sich in der Ladeklappe, eine für innen unterhalb der Rückbank.
Das alles gibt es natürlich nicht zum Schnäppchenpreis. Das Basis-Modell mit kleiner Batterie und 111 kW starkem Heckantrieb startet bei 43.900 Euro. Für den großen Stromspeicher und 168 kW muss man 54.000 Euro aufwärts anlegen, und für Allradantrieb und 239 kW Leistung ruft Hyundai mindestens 61.100 Euro auf. Das ist dann zwar jede Menge Auto – aber eben auch viel Geld. Selbst nach Abzug der Förderung.
Womöglich lohnt aber auch ein klein wenig Geduld. Ein Shooting Brake ähnlich dem Konzernbruder Kia ProCeed ist zwar vorerst ein Gerücht – fürs Jahresende beschlossen indes ist bereits ein N-Modell – vermutlich mit der Ballermann-Technik des Kia EV6 GT. Quasi die Verschmelzung von Kraft und Form. Und noch mal einen guten Batzen teurer. Allerdings: Wer technisch gleichauf mit Porsche liegen will, darf nun mal keine Krämerseele sein.
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