Gericht verpflichtet Ampel zu mehr Klimaschutz
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Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und der Umweltorganisation BUND stattgegeben und die Bundesregierung verurteilt, ein Sofortprogramm nach Paragraph 8 Klimaschutzgesetz zu beschließen, das die Einhaltung der im Klimaschutzgesetz genannten Jahresemissionsmengen der Sektoren Gebäude und Verkehr für die Jahre 2024 bis 2030 sicherstellt, wie einer aktuellen Mitteilung zu entnehmen ist.
Das Umweltbundesamt hatte für die Sektoren Verkehr und Gebäude für die Jahre 2021 und 2022 Überschreitungen der zulässigen Jahresemissionsmengen festgestellt. Bei einer Überschreitung der zulässigen Jahresemissionsmenge für einen Sektor hat nach Paragraph 8 Klimaschutzgesetz zunächst das zuständige Bundesministerium der Bundesregierung ein Sofortprogramm vorzulegen, das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des jeweiligen Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt. Die Bundesregierung hat dann über die zu ergreifenden Maßnahmen im betroffenen Sektor oder in anderen Sektoren oder über sektorübergreifende Maßnahmen zu beraten und diese „schnellstmöglich“ zu beschließen.
Nachdem die für die Sektoren zuständigen Bundesministerien im Juli 2022 solche Sofortprogramme vorgelegt haben, blieb ein Beschluss der Bundesregierung über diese Programme aus. Die Bundesregierung beschloss dann am 4. Oktober 2023 das Klimaschutzprogramm 2023.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat nun festgestellt, dass die Bundesregierung aufgrund der festgestellten Überschreitungen an zulässigen Treibhausgas-Emissionen in den Sektoren Gebäude und Verkehr zu einem Beschluss über ein Sofortprogramm nach Paragraph 8 Klimaschutzgesetz verpflichtet ist.
Das nunmehr beschlossene Klimaschutzprogramm 2023 erfüllt nach Auffassung des Senats nicht die Anforderungen an ein Sofortprogramm. Es überprüft anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtberechnung, ob die Klimaschutzziele bis 2030 erreicht werden. Ein Sofortprogramm muss dem gegenüber kurzfristig wirksame Maßnahmen enthalten, die die Einhaltung der im Klimaschutzgesetz ausgewiesenen Jahresemissionsmengen für die folgenden Jahre im jeweiligen Sektor sicherstellen. In allen Verfahren wurde die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
„Als Sofortmaßnahme darf auch das Tempolimit nicht länger tabu sein“
Für Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs VCD, ist klar: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) müsse schleunigst effektive Maßnahmen vorlegen. „Bundeskanzler Scholz besucht die Weltklimakonferenz in Dubai, während ihm zuhause ein Gericht das Versagen seiner eigenen Klimapolitik attestiert. Vor allem im Verkehr muss die Regierung handeln“, so Müller-Görnert. Das von Minister Wissing im vergangenen Jahr vorgelegte Sofortprogramm sei weder dazu geeignet, die Klimalücke im Verkehr zu verringern, noch erfülle es die Anforderungen des Klimaschutzgesetzes.
„Jetzt gibt es keine Ausreden mehr, Herr Wissing muss endlich liefern“, so der VCD-Sprecher weiter. Was nötig sei, liege seit Jahren auf dem Tisch: Unumgänglich etwa sei der Abbau der Steuerprivilegien im Verkehr. „Rund 30 Milliarden Euro entgehen dem Staat jährlich durch Dienstwagenprivileg und ermäßigte Dieselsteuer, durch Entfernungspauschale und Steuerbefreiungen in der Luftfahrt. Auch Kfz-Steuer und Luftverkehrsteuer bedürfen dringend einer Reform nach ökologischen Maßstäben“, findet Müller-Görnert.
Er verweist darauf, dass Subventionsabbau und Steuerreform zusammen auch Spielräume im Haushalt schaffen würden für eine nachhaltige und sozial gerechte Transformation. Dies gelte umso mehr nach dem Verfassungsgerichts-Urteil zum Klima- und Transformationsfonds.
„Als Sofortmaßnahme darf auch das Tempolimit nicht länger tabu sein. Tempo 120 auf Autobahnen und Tempo 80 auf Landstraßen entlasten das Klima jährlich um mindestens sieben Millionen Tonnen CO2, gleichzeitig machen sie die Straßen sicherer“, so Müller-Görnert. Auch innerorts diene Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einem besseren Klima, schütze Rad- und Fußverkehr und verringere Lärm und Luftverschmutzung. „All das ist bekannt und belegt. Nun muss Herr Wissing es umsetzen – die Zeit des Aussitzens ist vorbei.“
„Das klimapolitische Versagen der Bundesregierung ist gesetzeswidrig“
Antje von Broock, BUND-Geschäftsführerin: „Mit dem heutigen Urteil ist die Bundesregierung dazu verpflichtet worden, beim Klimaschutz nachzulegen. Gebäude- und Verkehrssektor brauchen ein Klimaschutz-Update. Nachweislich ungenügende Maßnahmen reichen nicht. Es müssen konkrete Sofortprogramme her, die wirksam auf die Klimaziele einzahlen.“
„Das Gericht hat dem Klimaschutz den Rücken gestärkt. Das klimapolitische Versagen der Bundesregierung ist gesetzeswidrig“, so von Broock weiter. „Von den Ministern Wissing, Geywitz und Habeck erwarten wir jetzt rasch ambitioniertere Maßnahmen, um auf Klimakurs zu kommen. Das heißt: Tempolimit jetzt, Dienstwagenprivileg abschaffen, Steuervorteile für Diesel und Kerosin beenden und klare Vorgaben für die energetische Modernisierung von Gebäuden.“
Die Klage vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wurde rechtlich vertreten von der langjährig im Umweltrecht tätigen Rechtsanwältin Dr. Franziska Heß, ihrer Kollegin Lisa Hörtzsch, jeweils Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbH, und Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt aus Leipzig. Heß und Ekardt haben bereits die 2021 erfolgreiche BUND-Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht gemeinsam rechtlich vertreten.
Hörtzsch und Ekardt erklären zum Urteil: „Das Klimaschutzgesetz ist eindeutig. Es steht nicht im Belieben der Bundesregierung, ob sie bei Überschreitungen von Jahresemissionsmengen durch einzelne Sektoren ein Sofortprogramm aufstellt oder nicht“. Das gelte umso mehr, als gemessen am Verfassungsrecht und an der 1,5-Grad-Grenze aus dem Pariser Klima-Abkommen die deutschen Klimaziele weiterhin unzureichend seien. „Wenn schon diese unzureichenden Ziele verletzt werden, musste das bei Gericht Folgen haben.“
„Eine schallende Ohrfeige für katastrophale Klimapolitik“
Für die DUH ist dieses Urteil laut eigener Aussage erst der Anfang zur Korrektur der deutschen Klimapolitik durch Gerichte: Am 1. Februar 2024 sollen drei weitere Klimaklagen des Verbands gegen die Bundesregierung verhandelt werden, in denen es darum geht, die Regierung zum Beschluss ausreichender Klimaschutzmaßnahmen in allen Sektoren bis zum Jahr 2030 zu zwingen.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH, sagt zu der Entscheidung des Gerichts: „Dieses Urteil ist der richterliche Doppel-Wumms für den Klimaschutz und eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung wegen ihrer katastrophalen Klimapolitik“. Die Bundesregierung müsse angesichts der heute startenden Weltklimakonferenz ein Zeichen für einen Neustart im Klimaschutz setzen „und als einzige sofort wirksame Maßnahme ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h außerorts und Tempo 30 für die Stadt umsetzen“, so Resch. So sollen sich jährlich mehr als 11 Millionen Tonnen CO2 und damit ein Drittel des Fehlbetrages im Verkehrssektor einsparen lassen.
Zudem müssten die zahlreichen klimaschädlichen Subventionen im Verkehr gestrichen werden, die die Gesellschaft jedes Jahr über 30 Milliarden Euro kosteten: „Allein mit der Abschaffung des Dienstwagenprivilegs spart die Ampel-Koalition auf einen Schlag bis zu 6 Millionen Tonnen CO2 und viele Milliarden Euro. Die Maßnahmen liegen seit Jahren auf dem Tisch. Die Regierung wollte einfach nicht. Mit diesem Urteil zwingen wir sie nun zum Klimaschutz“, sagt Resch.
„Drei Mal hat der Gebäudesektor die Klimaziele verfehlt“
Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH: „Drei Mal hat der Gebäudesektor die Klimaziele verfehlt. Mit der aktuell völlig kopflosen und verantwortungslosen Gebäudepolitik von Kanzler Scholz, Bauministerin Geywitz und Klimaminister Habeck steuert Deutschland auf eine riesige Zielverfehlung zu, die nicht nur ein klimapolitisches Desaster ist, sondern auch in Kauf nimmt, dass Millionen Menschen in Deutschland ihre Energiekosten nicht mehr werden bezahlen können“.
Jetzt schiebe das Gericht dieser politischen Fehlleistung einen Riegel vor und zwinge die Bundesregierung, ein echtes Sofortprogramm vorzulegen. Metz hat bereits einige Vorschläge: „Dazu gehören Maßnahmen wie die Sanierung der schlechtesten Gebäude zuerst, eine Sanierungsoffensive für Kitas und Schulen und der klimazielkompatible Neubau. Das ist eine gute Nachricht für die Menschen in Deutschland, die mit dieser Gerichtsentscheidung ein wenig mehr Sicherheit für die Zukunft gewonnen haben.“
Remo Klinger, der die DUH in den Verfahren juristisch vertritt: „Klimaschutz ist eine Rechtspflicht, kein politisches ‚Nice-to-have‘. Dies hat das Gericht heute in aller Deutlichkeit klargestellt. Klimaschutzziele sind auch keine unverbindlichen Empfehlungen. Es sind rechtsverbindliche Vorgaben, an die sich die Bundesregierung zu halten hat. Die Urteile geben uns Rückenwind für unsere Klagen auf gesetzeskonforme Klimaschutzprogramme, die am 1. Februar 2024 verhandelt werden.“
Das Bundes-Klimaschutzgesetz legt jahresscharfe Obergrenzen für klimaschädliche Emissionen für einzelne Sektoren fest. Werden diese gerissen, wie in den vergangenen Jahren gleich mehrmals in den Sektoren Gebäude und Verkehr, muss das zuständige Ministerium ein Sofortprogramm erarbeiten. Die Bundesregierung muss das entsprechende Sofortprogramm danach beschließen. Die Maßnahmen des Sofortprogramms müssen laut Klimaschutzgesetz so ausgestaltet sein, dass sie die Einhaltung der gesetzlichen CO2-Vorgaben in den folgenden Jahren auch sicherstellen.
Laut dem aktuellen Projektionsbericht wird jedoch allein der Verkehrssektor bis 2030 über 200 Millionen Tonnen CO2 mehr emittieren, als das Klimaschutzgesetz erlaubt. Laut dem aktuellen Prüfbericht des Expertenrats für Klimafragen wird der Gebäudebereich sein Treibhausgasbudget bis 2030 um mindestens 35 Millionen Tonnen überschreiten.
Quelle: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg // VCD // BUND // DUH – Pressemitteilungen vom 30.11.2023 //
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