Nio und das Henne-Ei-Problem: EL8 als Lösung?
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Das chinesische Automobil Start-up Nio hat zu den Media Experience Days in Köln geladen. Mit im Gepäck das E-SUV Nio EL8 – das neue europäische Flaggschiff des Herstellers. Modell Nummer sechs im E-Autoportfolio der Chinesen, das innerhalb von zwei Jahren seinen Weg auf europäische Straßen findet. Mit den nächsten sechs Modellen geht es dann aber nicht so schnell, wie man uns mit einem Augenzwinkern zu verstehen gibt.
An sich auch nicht notwendig, wenn man das eine richtige Modell auf die Straße bringen würde. Dies scheint jedoch für Europa eher von Nios Submarke Firefly zu kommen und nicht von Nio selbst. Denn für den Massenmarkt ist auch das neue E-SUV nichts. Dies offenbart bereits der Blick auf die Preise.
Die normale Version, hauptsächlich für Familien gedacht, beginnt bei 82.900 Euro zzgl. 169 Euro im Monat für die Batteriemiete als Standard Range-Variante. In der Long Range Variante werden ebenfalls 82.900 Euro fällig, zzgl. einer Batteriemiete von 289 Euro im Monat.
Im Business-Kontext wird der Listenpreis von 82.900 auf 87.900 Euro für die Executive-Variante angehoben, die monatlichen Batteriemieten bleiben je Variante die gleichen. Wer mag, kann den Nio EL8 auch kaufen:
Nio EL8 Standard Range: 94.900 Euro
Nio EL8 Long Range: 103.900 Euro
Nio EL8 Executive Standard Range: 99.900 Euro
Nio EL8 Executive Long Range: 108.900 Euro
Beim Kauf und darauffolgender Auslieferung ab September 2024 entfällt die Möglichkeit, die Batteriewechselstationen des Unternehmens zu nutzen. Somit profitiert man auch nicht von der Weiterentwicklung der Akku-Technologie, je nach Bedarf mehr oder weniger Reichweite (Batteriegröße) oder schnellen Ladezeiten. Gründe genug, dass sich 95 Prozent der deutschen Nio-Kund:innen für die Variante Listenpreis zzgl. monatlicher Batteriemiete entscheiden.
Noch stärker ins Gewicht fallen dürfte hier der Punkt des Wiederverkaufswerts. Denn mit Wechselakku muss man sich beim Wiederverkauf auch wenig Gedanken um den Gesundheitszustand der Batterie machen. Auch, wenn dieser mit dem kommenden Update der Systemsoftware Banyan standardmäßig einzusehen ist.
Fortlaufende Over-the-Air-Updates, Nomi GPT und chinesisch / deutsche Vorlieben
Nur eines der Updates, welches Nio Over-the-Air neuen und bisherigen Nio-Fahrer:innen zur Verfügung stellt. Karaoke für die eher kurzen Ladezeiten – 240 kW-Peakladeleistung (große Batterie) im Nio EL8 sei Dank – wird es auch geben. Ob es sich lohnt, für zwanzig Minuten ins Gesangsbattle einzusteigen, bleibt jedem selbst überlassen. So lange benötigt der EL8 nämlich künftig für den Ladevorgang von 10 auf 80 Prozent.
Auch hat man mit Nomi GPT künftig seine eigene ChatGPT-Variante im E-SUV zur Hand. Statt ausgeklügelter Prompts zum Schreiben ansprechender Werbeanzeigen für Elektroautos kann man dadurch die Nio-Stromer leichter bedienen. Denn dann versteht Nomi es auch, die Fenster zu öffnen, wenn man um etwas „frische Luft“ bittet. Ansonsten hilft hier aber auch immer noch „Nomi, öffne die Fenster“. Sprich, Nios-Assistenz versteht die Fahrer:innen künftig noch ein Ticken besser. Um die Daten muss man sich dem Hersteller zufolge dabei keine Sorgen machen, die sind von Nios chinesischem System getrennt und werden in Frankfurt gespeichert.
Bleiben wir kurz bei China vs. Deutschland. Hier gibt es nicht nur hinsichtlich der Daten unterschiedliche Ansätze. Auch bei den E-Autovarianten gibt es unterschiedliche Vorlieben. Für China wird die Executive-Variante, welche vornehmlich im Business-Kontext zum Einsatz kommt, den Absatz treiben. Deutschland dürfte eher auf die normale Variante zurückgreifen, welche sich an Familien richtet. In beiden Varianten muss man auf nichts verzichten. Alle Assistenzsysteme sind serienmäßig an Bord. Für die Executive-Variante gibt es lediglich noch mal Upgrades, wie beispielsweise einen Kühlschrank in der zweiten Reihe. Ein Kühlschrank, der bei Bedarf durch Warmluft auch dafür Sorge trägt, dass der Snack zwischen zwei Terminen nicht kalt gegessen werden muss. Wohl eher auch dem chinesischen Anspruch an ein E-Auto geschuldet.
Für Familien spricht dann schon eher die Tatsache, dass sowohl in der zweiten, als auch dritten Sitzreihe des Stromers, durch Iso-Fix gesichert, Kindersitze montiert werden können. Der Zugang zur dritten Sitzreihe gestaltet sich mit simplem Knopfdruck auch so einfach, dass man dort durchaus sein(e) Kind(er) unterbringen kann. Selbst dort Platz zu nehmen funktioniert auch. Aber sicherlich nicht auf Langstrecke.
Nio EL8: Kürzer und schmäler, dafür aber höher als der EL7
Spannend war die Tatsache, dass Benjamin Steinmetz, Product Experience Director Europe, zu verstehen gab, dass es Nio gelungen sei, den EL8 kürzer und schmäler als den Nio EL7 auf die Straße zu stellen, dabei aber mehr Sitzmöglichkeiten unterzubringen. Wohlgemerkt auf der gleichen Plattform. Sieht man dem E-Auto mit einer Länge von 5,09 Meter, einer Breite von 2,08 Meter (mit Außenspiegeln: 2,20 Meter), einer Höhe vom 1,75 Meter und einem Radstand von 3,08 Meter auch nicht unbedingt an. Übrigens, Fünf-Zonen-Klimaautomatik gibt es auch noch.
An Platz für Koffer und Taschen mangelt es ebenfalls nicht, vor allem da je nach Bedarf auch nur einer oder keiner der Sitze in der dritten Sitzreihe nach oben geklappt werden können. 265 Liter Kofferraumvolumen stehen zur Verfügung, wenn alle Sitzreihen in Benutzung sind, klappt man die letzte Reihe um, sind es 810 Liter. Zum Vergleich: Im EL7 hat man 570 bis zu 1545 Liter Volumen Stauraum zur Verfügung. Die Anhängelast, die beide Modelle ziehen können, ist mit 2000 Kilogramm die gleiche.
Passt ganz gut, teilt man sich schließlich auch die gleiche Motorisierung: 480 kW / 653 PS, bei einem maximalen Drehmoment von 850 Nm im Allradantrieb. Auch hinsichtlich der Netto-Batteriegröße stellt man sich mit 73,5 kWh (klein) und 90 kWh (groß) auf die gleiche Stufe. Lediglich geladen wird ein wenig schneller. Mit maximal 140 kW (klein) beziehungsweise maximal 240 kW (groß), je nach gewählter Batterievariante.
Wobei diese Entscheidung bei Abschluss des Abos zu treffen ist, denn der Wechsel von kleiner auf große Batterie oder umgekehrt funktioniert in Deutschland weiterhin nicht, der Regulatorik sei Dank. Hier gab Christian Wiegand, Head of Marketing & Communications, Deputy General Manager NIO Deutschland, zumindest zu verstehen, dass man am Thema weiter dran sei – zunächst außerhalb Deutschlands.
Mit der großen Batterie hat man dennoch genügend Reichweite für bis zu 510 km nach WLTP-Zyklus – in der kleinen Variante bis zu 375 km, bei einem Energieverbrauch von 23,1-21,2 kWh/ 100 km. Die Höchstgeschwindigkeit erreicht der Nio EL8 bei 200 km/h, den Sprint auf die Zwischenstufe von 0 auf 100 km/h in 4,1 Sekunden.
Durch die Funktion, an den beiden äußeren Tastern (viereckige Buttons links und rechts auf dem Lenkrad) die Sport+-Funktion zu aktivieren und deaktivieren, gelingt das mit dem schnellen Sprint ganz gut. Übrigens ebenfalls eine Funktion, die durch Software-Update in anderen Nio-E-Autos Einzug halten wird. Gefahren im Komfort-Modus auf Autobahn, Landstraße und in der Stadt bewegte sich der Energieverbrauch zwischen 18,4 und 21,7 kWh/ 100 km. Recht ordentlich für ein erstes Abtasten. Mehr Erfahrungen hierzu dann mit dem Test des Stromers beim Redaktionsbesuch von EAN.
Vorab aber schon die Information, dass der EL8 als neues Flaggschiff der Marke und erstes Nio-Modell mit maximal 22-Zoll-Bereifung daherkommt. Die Matrix-Scheinwerfer in der Front habe man vom EL6 übernommen, dem EL8 aber zumindest noch versteckte Scheibenwischer und besser positionierte Seitenkameras spendiert. Erwähnenswerter erscheint da schon eher die 6-Kolben Bremsanlage. Ansonsten gilt: Serienmäßig gibt es bei allen Varianten die variable Luftfederung mit adaptiven Dämpfern, elektrischen Ledersitzen, Soundsystem, Head-up-Display sowie zahlreiche Fahrerassistenzsysteme.
Head-up-Display, Navigationssystem gekoppelt mit der ACC-Funktion (Active Cruise Control) haben überzeugt. Simpel einzuschalten und zu bedienen, mit gut funktionierender Verkehrszeichenerkennung sowie dem Gefühl, sich stets sicher fühlen zu dürfen. So soll es sein. Lediglich die visuelle Anzeige der Seitenkamera beim Blinken nach rechts oder links, die sich direkt über die Navigation legt, könnte man besser lösen. Wer weiß, eventuell ist dies bis zum ausführlichen Test des Nio EL8 bereits behoben.
Denn bei Software-Updates ist Nio schnell. 15 FOTA Updates sowie 1195 User Experience Upgrades habe man seit Start der Nio-Modelle in Deutschland bereits durchgeführt. Das scheint also gut zu klappen.
Zurück zum Henne-Ei-Problem von Nio
Das bringt uns zurück zum in der Artikel-Überschrift erwähnten Henne-Ei-Problem von Nio. Hier ist allerdings nicht die Frage, wer war zuerst da: Henne oder Ei. Vielmehr stellt sich die Frage: erst Hubs, Batteriewechselstationen und Service oder Absatzsteigerung?
Zumindest für Europa, im speziellen in Deutschland, fällt die Antwort laut Wiegand klar aus: Hubs, Batteriewechselstationen und Service stehen an erster Stelle. Dann wird man den Vertrieb der eigenen Modelle verstärkt betrachten.
Derzeit baut Nio vor allem Batteriewechselstationen aus – von zwanzig war die Rede, die entweder aktiv, im Bau oder in der Bauvorbereitung seien. Weitere seien ebenfalls in Planung, aber bisher nicht spruchreif. Auch die Anzahl der Nio Hubs, Houses, Space Mobile und Hand Over-Center wächst stetig. Zunächst stark konzentriert im Süden Deutschlands, später im Norden. Gleiches gilt für Service-Center sowie mobile Techniker, die Nio für die eigenen Modelle an den Start bringt.
Ganz im Sinne von Nio-Gründer William Li, der sich im Mai 2024 gegenüber Elektroauto-News ähnlich äußerte. Zumindest muss man sich als deutsche:r Autokäufer:in keine Gedanken über europäische Strafzölle für chinesische E-Autos machen. Bei nur 32 verkauften Nio-Stromern im Juli 2024, beziehungsweise 266 von Januar bis Juli 2024, ist davon auszugehen, dass der Hersteller diese aus der Marge chinesischer Verkäufe stützt und nicht auf seine Kund:innen umwälzt.
Nio EL8: Flaggschiff ja, Verkaufsschlager nein
Der Nio EL8 hat die Bezeichnung Flaggschiff durchaus verdient. Zum großen Absatzplus wird dieser Nio aber wohl auch nicht verhelfen, dafür ist der Preis zu hoch, für die Zielgruppe, die er in Europa und Deutschland wohl mit Familien am ehesten ansprechen dürfte.
Auch für Taxi-Flotten dürfte das neue Nio-Flaggschiff eher uninteressant sein. Der ET7 eignet sich dafür besser. Aber wer weiß, eventuell findet der Nio EL8 doch noch seinen Weg in die ein oder andere Firmenflotte. Außendienstler haben damit auch keine Reichweiten-Ausreden mehr. Über 24.000 Batteriewechselvorgänge seit 2022 alleine in Deutschland zeigen, dass das System funktioniert.
Disclaimer: Nio hat zur Fahrveranstaltung des Nio EL8 nach Köln eingeladen und hierfür die Reisekosten übernommen. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf unsere hier geschriebene ehrliche Meinung.
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